Faschismus ist wieder ein Thema in Europa. Laut Umberto Eco gibt es davon die unterschiedlichsten Erscheinungsformen, er beschäftigte sich jedoch mit der Fage, ob es eine Art Ur-Faschismus gäbe und was einen solchen auszeichnet. Er hat dafür vierzehn Indikatoren zusammengestellt. Wie man bemerkt, gibt es viele Überschneidungen in den einzelnen Punkten, was das Gesamtbild stimmig macht. Und müssen immer alle Punkt zutreffen? Nein, es reichen bereits ein oder zwei, um die herum sich eine Ideologie bildet.
(Die Liste ist keine genaue Übersetzung, mehr meine in die aktuelle Zeit gehobene Interpretation, aber am Original. (Ein englischer Auszug des Original ist hier zu finden.)
- Traditionenkult Man beruft sich auf das Traditionelle. Doch wie in Allem zeigen sich gerade hier Widersprüche, denn das Traditionelle ist nur vermeintlich und wohl ausgesucht. Man will auf keinen Fall Synkretismus, eine Durchmischung von Ideen, Philosophien und Weltbildern, denn es gibt nur ein uraltes, traditionelles. Gleichwohl bedient man sich für das eigene Weltbild überall in der Geschichte und in den Ritualen, und seien die noch so okkult.
- Ablehnung der Moderne Man betrachtet die Aufklärung als Ursünde der Moderne, Vernunft ist ein Ausdruck der Verderbtheit. Der Irrationalismus ist hoffähig bis hin zur Verdächtigung, Diffamierung und Verfolung von Intellektuellen.
- Kult um das Handeln Handlungen werden vollzogen um des Handelns willen, Rituale werden nicht hinterfragt, sondern aufgrund ihrer Ästhetik als gut und wichtig ausgeführt. Denken dagegen ist negativ konnotiert, eine unmännliche Verweichlichung.
- Meinungsabweichungen sind Verrat Ein kritischer Geist führt einen Diskurs, macht Unterscheidungen, beachtet möglichst viele Aspekte, berücksichtigt Kritik und hört auf Zwischentöne. Dies alles sind Zeichen der Moderne und somit Verrat an der unumstößlichen Sache. Abgelehnt wird, dass gerade durch Meinungsverschiedenheiten, durch den Wettstreit der Argumente, Wissen vermehrt wird.
- Angst vor dem Anderen Das Andere wird abgelehnt – oft der erste Ausdruck einer Faschistischen oder noch vorfaschistischen Bewegung. Die diffuse Angst vor dem Anderen wird heraufbeschworen, befeuert und instumentalisiert. Dabei wird, ja nach Zweck, definiert was oder wer das Andere verkörpert (Eindringling) und damit wie selbstverständlich definiert, was die Norm, was normal ist. Pluralistisches und Multikulturelles sind Ausgeburten der Moderne. Ausgegrenzt werden andere religiöse, politische, gesellschaftliche, kulturelle oder sexuelle Einstellungen, insbesondere (vermeintlich) andere Ethnien oder sonstwie definierte Eigengruppen. Der Ur-Faschismus ist per Definition rassistisch.
- Aunutzung von sozialer Frustration Typisch sind Appelle an eine Mittelschicht, die mehr oder weniger frustriert oder verängstigt ist. Die Angst kann unbegründet sein – nur gefühlt – oder aufgrund von Krisen berechtigt. Der soziale Abstieg wird als Schreckgespenst projeziert, die weiter unten stehenden sozialen Schichten als Schuldige auserkoren. (Eco spricht hier von einer politischen Demütigung, womit ich nicht sehr viel anfangen kann. Vielleicht könnte man mehr von einer narzistischen Kränkung der Mittelschicht sprechen, aufgrund dessen, dass die Anderen oder die Zeitläufte das sichergeglaubte Selbstbild hinterfragen, kritisieren oder zurecht rücken.)
- Komplott-Besessenheit Die Mär von einem Komplott spielt eine basale Rolle in der ur-faschistischen Psychologie, nicht selten ein internationales Komplott. Dies hilft, eine Wagenburg-Mentalität zu erzeugen: Wir gegen die.
- Oportune Feindesbewertung Je nachdem, was gerade benötigt wird und welcher rhetorische Fokus im Vordergrund steht, ist der Feind als schwach oder stark und mächtig anzusehen.
- Pazifismus ist ein Handel mit dem Feind Im Ur-Faschismus geht es nicht um den Kampf für das Leben, im besten Falle für ein besseres Leben. Das Leben ist nur da für des Kampfes willen.
- Verachtung der Schwachen Der Faschismus ist von einem Bewusstsein getragen, einer Elite anzugehören. Ähnlich schizophren wie die Kategorisierung des Feindes in schwach oder mächtig, gehört man selbst zur Elite oder führt den Kampf gegen die Eliten.
- Heldenmachung Jeder hat das Zeug zum Helden, es braucht nur die geeignete Erziehung. Der Held ist die Norm, an der es sich auszurichten gilt. Der heldenhafte Tod für die Sache wird nicht gering geschätzt, wenn nicht sogar kultiviert.
- Männlichkeitswahn Die “traditionelle” männliche Geschlechterrolle wird nicht nur gelebt, sondern zur Schau gestellt. Frauen werden in dieser reaktionären Ideologie verachtet, genau wie andere sexuelle Gewohnheiten und Anschauungen, insbesondere Homosexualität – oder schon die Toleranz für dergleichen.
- Identitärer Populismus Die Befindlichkeiten ausgewählter Gruppen, auch Kleingruppen, werden durch die Möglichkeiten sozialer Medien verallgemeinert, erhöht und als Volkes Stimme präsentiert. Die vielfältigen Möglichkeiten des Internets werden für Empörung und Tribunalisierung benutzt.
- Sprachliche Verarmung und Neusprech Die nationalistische und faschistische Erziehung bedient sich einer veramten Sprache (Wortschatz und Sytntax), um die Möglichkeiten des komplexen und kritischen Denkens einzuschränken. Ecos Punkt kann man sicher ausweiten, die Sprache wird zum Kampfplatz. Alltagsbegriffe werden gekapert und in ein neues Framing gesetzt (“Asyl”), problematische Wörter provozierend benutzt (“Zigeuner”), sprachliche Korrekturen und Weiterentwicklungen diffamiert (Gendern, Wokness), Wortneuschöpfungen repetitiv in die Umgangssprache eingebracht (“Remigration”, “Lügenpresse”) und damit akzeptierbar gemacht.
Anmerkungen und Kritik oder Korrekturen sind herzlich willkommen, genauso wie eine Diskussion darüber. Und überlegt mal, wieviele Punkte davon deutlich auf den Trumpismus zutreffen, ich komme auf gesicherte 10.